Über Kritik an "Natur der Dinge" von Bunge & Mahner

Feodor am Fr., 03.12.2010 - 23:01

Entwurf einer materialistischen Ontologie

In "Über die Natur der Dinge" präsentieren der Physiker und Philosoph Mario Bunge und der Biologe Martin Mahner ein Denksystem des philosophischen Materialismus, nach dem nur konkrete, dinghafte Gegenstände real sind. Bei den idealististen oder spiritualistischen Gegenpositionen nimmt man hingegen auch immaterielle Ideen, entkörperlichten Geist oder übernatürliche Wesenheiten als existent an. Materialistische Positionen in der Nachfolge der Charvaka-Philosophen und der griechischen Atomisten werden öfters kritisiert, was sicher nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass menschliche Bedürfnisse nach absolutem Sinn, unbedingten Gründen, letzten Prinzipien, einem vom Körper unabhängigen Geist oder einer herausragenden Rolle des Menschen im Kosmos nicht mehr ontologisch unterfüttert werden.

Exemplarische Kritikpunkte

Im Diskurs begegnet man immer wieder typischen Kritikpunkten, von denen einige samt Entgegnung im Folgenden aufgeführt sind:

1. Alternative Positionen wie etwa Idealismus, Existenzialismus oder Spiritualismus würden nicht "fair" bzw. "angemessen" diskutiert. Es finde lediglich eine "platte Abkanzelung" derartiger Haltungen statt.

In dem Buch geht es ausschließlich darum, eine materialistische Philosophie verständlich und knapp vorzustellen. Die Abhandlung streift daher alternative Denkmodelle nur dort, wo es für eine Grenzziehung nützlich erscheint. Eine ausführliche Würdigung alternativer Ansätze würde den Umfang der Einführung bereits vollständig aufbrauchen.

2. Der Text sei "ideologisch" oder "dogmatisch".

Hier wird Philosophie mit Ideologie verwechselt, denn ein ausgearbeitetes philosophisches System ist keine Ideologie. Und wenn es eine Ideologie ist, dann gilt dies für alle anderen Philosophien auch.

Der Vorwurf der Dogmatik impliziert, dass die materialistische Philosophie einen absoluten Wahrheitsanspruch erhebt, was jedoch überhaupt nicht zur vertretenen Position passt. Zum einen ist diese Philosophie kritisierbar. Die beste Möglichkeit hierfür ist es, eine alternative Ontologie zu entwerfen, die Wissenschaft besser erklärt. Zum anderen könnte der Materialismus als Ontologie explanatorisch scheitern, wenn sich die Welt empirisch als drastisch anders herausstellte. So ließe sich z.B. das Postulat, dass essentielle Eigenschaften von Dingen (natur)gesetzmäßig mit anderen essentiellen Eigenschaften verbunden sind, prinzipiell empirisch erschüttern. Letztlich müsste die Wissenschaft scheitern und dann mit ihr der Materialismus. Im Gegensatz etwa zu religiösen Haltungen gilt hier stets ein Irrtumsvorbehalt.

3. Das Buch sei keine Einführung sondern ein "Manifest".

Die knappe Vorstellung eines philosophischen Systems mag einem Manifest, d.h. einem Programm bzw. einer Grundsatzerklärung gleichkommen. Diese Art der Präsentation hat durchaus historische Vorläufer, wie etwa Wittgensteins "Tractatus Logico-Philosophicus". Es existieren jedoch auch breitere Darstellungen dieser Philosophie, wie Bunges achtbändige "Treatise on Basic Philosophy".

Manche Leser sind vielleicht auch deswegen irritiert, weil die gegenwärtige Philosophie statt Systeme vorzustellen meist nur noch analysiert und kritisiert, wodurch jedoch noch keine eigene Substanz entsteht. Als negative Konnotation wollen manche Kritiker dem Text jedoch wahrscheinlich auch einen agitatorischen Charakter unterstellen. Derartige persönliche Empfindungen haben sicher ihre Ursachen, wie vielleicht eine religiöse Erziehung, aufgrund der etwa bereits eine Analyse, ob sich Ethik tatsächlich religiös begründen lässt, unbotmäßig erscheint. Allerdings erkennt man heute meist an, dass derartige Analyseverbote nicht hilfreich sind.

4. Materialismus sei eine Weltanschauung, die durch Naturwissenschaft weder bestätigt noch widerlegt werden könne.

Materialismus ist jedoch die philosophische Grundlage der Naturwissenschaften. Wenn das Lukrez'sche "Von nichts kommt nichts" nicht gilt und übernatürliche Wesenheiten oder "geistige" Kräfte jederzeit Experimente verfälschen könnten, würde das Unternehmen der Naturwissenschaft zum aussichtslosen Unterfangen. Die Existenz von Materie ist ausgezeichnet belegt, während nach übernatürlichen Wesenheiten oder Geistsubstanz bislang noch erfolglos gesucht wird. Das Sparsamkeitsprinzip verbietet es, unnötige Elemente in eine Theorie mit aufzunehmen, da andererseits völlige Willkür möglich wäre.

5. Kategorien wie Ding, Zustand, Prozess, würden weder begründet, definiert noch erklärt.

Kantianer postulieren diese Kategorien vielleicht einfach als apriorische Denknotwendigkeiten. Es ist aber sowohl nützlich wie angemessen, Begriffe, mit denen man in der Wissenschaft allgemein arbeitet und die man daher intuitiv versteht, zu benutzen und zu klären. Begriffe werden durchaus definiert, gegeneinander abgegrenzt und in Beziehung gesetzt. Bestimmte Sätze hätten sich auch problemlos ausgliedern und als "Definition" kennzeichnen lassen. Begründen braucht man die Begriffe jedoch nicht, denn ob sie etwas taugen, zeigt sich in der Anwendung, etwa bei der Frage, ob man damit mehr versteht als mit den existierenden Alternativen. "Erklärt" werden jedoch üblicherweise Tatsachen und nicht Begriffe. Zwar "erklärt" man alltagssprachlich durchaus Begriffe, meint damit aber lediglich so etwas wie "erläutern".

6. Es sei insbesondere nicht hinreichend, die Kategorie der Dinge lediglich darüber zu definieren, dass sie Zustände haben können.

Jedem steht es hier natürlich frei, eine ausgearbeitete Alternative vor zu legen.

7. Mathematische Symbole seien lediglich ein Surrogat für Mathematik, die mathematische Substanz würde jedoch fehlen.

Mathematisches Material wurde absichtlich weggelassen, um die Einführung für Laien lesbar zu halten. Bunges "Ontology" von 1977 enthält hier mehr.

8. Das Konzept der Emergenz sei nicht hinreichend präzise definiert. Wann genau emergiere z.B. Leben?

Sicher können jederzeit auf der Grundlage des Buches Verbesserungen vorgeschlagen werden. Wann etwas Konkretes emergiert, wie Leben oder Geist, ist jedoch nicht Gegenstand der Ontologie, sondern der Einzelwissenschaften.

9. Kant sei ja auch ein fähiger Philosoph.

Sicher, aber vieles, was er schrieb, hatte keinen Bestand.

Muster von Kritikargumenten

Die Attraktivität eines anthropozentrischen Denkansatzes liegt naturgemäß darin, dass er menschlichen Wünschen weit entgegenkommt. So wird der Diskurs zwischen Anhängern anthropozentrischer und kosmologischer Ansätze auf ganz unterschiedlichem Niveau weiter gehen, auch wenn Philosophen wie John Searle längst davon ausgehen, dass die Antithese zum Materialismus längst nicht mehr verfolgt würde.

Manche in der praktischen Diskussion auszumachenden Kategorien von Kritikargumenten beziehen sich nur wenig auf die Inhalte:

  • Der Vorwurf eines unangemessenen Stils, der über unterschiedlichste Attribute, wie etwa polemisch, harsch, eitel, unfair, unverschämt etc. verbalisiert wird, drückt im Einzelfall ggf. nachvollziehbare Befindlichkeiten des Kritisierenden aus, ohne dass jedoch hierdurch inhaltlicher Fortschritt zu erwarten wäre.
  • Die Ontologie, die sich mit den allgemeinsten Grundstrukturen der Realität beschäftigt, ist nicht identisch mit einem Katalog beliebiger persönlicher Wertungen, Vorstellungen und Sichtweisen (Weltanschauung). Sie stellt Grundlagen für jede Realwissenschaft zur Verfügung. Ein Habermas'sches Diskursverbot nach dem Muster "sich nicht überschneidender Lehrgebiete" (NOMA: non overlapping magisteria) ist nicht akzeptabel. Es ist durchaus legitim, etwa spiritualistische Vorstellungen zu analysieren und bei Bedarf deren logische Inkonsistenz und semantische Konfusion zu konstatieren.
  • Das bloße Bemängeln fehlender Substanz, ohne dies analytisch zu unterfüttern oder entgegengesetzte eigene Substanz beizutragen, wird den Diskurs auch nicht voran bringen.
  • Der Verweis auf bekannte Persönlichkeiten mit tatsächlich oder vermeintlich abweichenden Positionen ist eine beliebte Strategie. Es sollten jedoch nicht primär Persönlichkeiten sondern Argumente und empirische Überprüfungen zählen.

Auch der Verweis auf die das Realitätsprinzip angeblich verletzende Quantenverschränkung wird uns sicher erhalten bleiben. Leider nehmen die Kritiker nicht zur Kenntnis, dass mittels Quantenverschränkung allein Informationsübertragung nicht möglich ist und Informationen sich nach wie vor nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übermitteln lassen.