Hinsichtlich meines Artikels über das Außenwelt-Problem bei Kant gab es auch Kritik an meiner Begriffsverwendung:
[Es muss] darauf hingewiesen werden, daß ein Argument, welches im philosophischen Geschäft Aussicht auf Erfolg haben möchte, sich doch bitteschön einmal einer wenigstens minimal konsistenten Begrifflichkeit versichern sollte ... und wenn du hier in Sachen Realität (also dem So-Sein der Dinge adäquat Kants /Ding an sich selbst betrachtet/) eben z.B. von 'Außenwelt' sprichst und dann glaubst, mit solchen unsäglichen [...] Begriffen eine Kantkritik leisten [...]
Ein anderer Autor schrieb wesentlich prägnanter:
aussenwelt ist schlicht falsch. [...] aussenwelt, das sind die phänomene.
Das soll wohl bedeuten, dass sich Kants "Ding an sich selbst betrachtet" angeblich nicht mit der Vokabel "Außenwelt" in Verbindung bringen lässt.
Wer meinen Text gelesen hat, wird wissen, dass ich den Begriff "Außenwelt" im üblichen Sinn verwendet habe, bei dem unterstellt wird, dass die Außenwelt subjektunabhängig ("an sich") ist. Die Außenwelt wird dabei als das unterstellt, was die (Sinnes)Erscheinungen verursacht. Dass manche Autoren dem Begriff eine andere (subjektiv verstandene) Bedeutung unterlegen, spielt hierbei keine Rolle.
Die Bedeutung des Wortes "Außenwelt" ist nämlich flexibel. Man kann darunter die reale Außenwelt "an sich" verstehen, wie ich das praktiziere, oder auch die vom Subjekt wahrgenommene Erscheinungswelt unterstellen. Über die Richtigkeit von begrifflichen Vereinbarungen zu streiten, erscheint sinnlos, dennoch geschieht dies immer wieder.
Kant in den Prolegomena: "Demnach gestehe ich allerdings, daß es außer uns Körper gebe, d. i. Dinge, die, obzwar nach dem, was sie an sich selbst sein mögen, uns gänzlich unbekannt, wir durch die Vorstellungen kennen, welche ihr Einfluß auf unsre Sinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines Körpers geben; welches Wort also blos die Erscheinung jenes uns unbekannten, aber nichts desto weniger wirklichen Gegenstandes bedeutet." Es gibt bei Kant also sowohl "außer uns [...] Dinge [...] an sich selbst", die "gänzlich unbekannt" bleiben, als auch deren Erscheinungen ("Vorstellungen") im Subjekt.
Wie ist nun der allgemeine Sprachgebrauch?
Bei Wikipedia1 steht: "Insbesondere in philosophischen Texten wird oft als Außenwelt die Gesamtheit der Gegenstände und Tatsachen bezeichnet, die nicht dem Bewusstsein eines wahrnehmenden Subjekts angehören". Das zeigt, dass der Begriff Außenwelt durchaus auch nicht-phänomenalistisch verstanden wird.
Wie ist der Sprachgebrauch in der Sekundärliteratur über Kant?
- Ralf Ludwig2 erwähnt3 den "Saturn an sich" hinter der Erscheinung des Saturn.
- Malte Hossenfelder4 schreibt5: "Der Gegensatz zur Erscheinung ist das Ding an sich als dasjenige, was unabhängig vom erkennenden Subjekt existiert [...] [Es] bedeutet [...] 'eigenständiges', für sich allein bestehendes Ding', ohne alle Bestimmungen, die ihm nur durch das erkennende Subjekt beigelegt werden."
- Holm Tetens6 macht7 drei logisch unabhängige Bestimmungen des Begriffes "Ding an sich" aus. Eine davon ist: "Dinge an sich als unerkennbare Gegenstände hinter den Erscheinungen".
- Ähnlich fasst dies auch der Kant-Forscher Tobias Rosefeldt8 in "Dinge an sich und der Außenweltskeptizismus"9 auf, wodurch die Verbindung zwischen dem Begriff "Außenwelt" und "Ding an sich" direkt gegeben ist.
Als Grund oder Ursache der (Sinnes)Erscheinungen bleibt bei Kant also nur das Ding an sich übrig. Diese Ursache benenne ich mit dem Wort Außenwelt. Um die subjektiv verstandene Bedeutung von "Außenwelt" anzusprechen, verwende ich hingegen Vokabeln wie Weltbild10, Vorstellungswelt oder Wahrnehmungswelt. Phänomene als Ursache ihrer selbst sind im übrigen auch kein plausibles Konzept, das von Kantianern daher auch nicht vertreten wird. Es ist aber einleuchtend, dass Kantianer den Begriff Außenwelt phänomenal verstehen müssen, da sie schließlich annehmen, dass die reale Außenwelt gänzlich unbekannt bleiben müsse, mehr noch, dass es sogar sinnlos sei, von einer realen Außenwelt zu sprechen.
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Ralf Ludwig: "Kant für Anfänger", DTV, 1998. ↩︎
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Malte Hossenfelder: "Kants Konstitutionstheorie und die transzendentale Deduktion", de Gruyter, 1978. ↩︎
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Holm Tetens: "Kants 'Kritik der reinen Vernunft': ein systematischer Kommentar", Reclam, 2006. ↩︎
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Tobias Rosefeldt: "Dinge an sich und der Außenweltskeptizismus", in: D. Emundts (Hrsg.), "Self, World, and Art. Metaphysical Topics in Kant and Hegel", de Gruyter 2012, S. 221-260. ↩︎
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Weltbild: "umfassende Vorstellung von der Welt" bei duden.de ↩︎